Hallo Oskar98,
zunächst einmal: Willkommen hier im Forum!
Zitat von oskar98: Hat jemand ähnliche Erfahrungen gemacht?
Ich kann Dir vorweg schonmal sagen: Du bist mit diesem Problem ganz bestimmt nicht alleine, ich denke, dass hier im Forum viele das Problem kennen, ich auf jeden Fall, und ich kenne es auch von vielen Mitpatienten. So wie ich es erlebt habe, machen viele Patienten diese Erfahrung, die Du beschrieben hast.
Zitat von oskar98: Und wenn ja, wie ging es letztlich weg?
Ich denke, hier werden sich die Erfahrungen unterscheiden, je nachdem, was die Ursache für die Erkrankung/Störung ist.
Und je nach Art und Schwere der darunterliegenden Ursache wird sich der Zeitraum unterscheiden, den es braucht, um Erleichterung zu erfahren.
Bei mir ist es u.a. ein schweres Komplex-Trauma, das seine Wurzeln in allerfrühester Kindheit hat und sich durchgezogen hat bis zum 18. Lebensjahr.
Dementsprechend schwierig ist die Behandlung, ich bin jetzt seit über 10 Jahren in Therapie (ambulant und immer wieder monatelang stationär) und erlebe erst jetzt erste vorsichtige Erleichterungen.
Das liegt aber an der Art der Erkrankung und ist absolut nicht der Regelfall.
Durch die verschiedenen Therapieerfahrungen hat sich jetzt über die Jahre ein Fundus aufgebaut, auf den ich zurückgreifen kann, um mich reguliert zu bekommen.
Aber es war ein langer und steiniger Weg, der auch noch lange nicht zu Ende ist.
Dass es im Rahmen der Therapie dazu kommt, dass es zu innerer Aufruhr kommt, die sich auch nur schwer beruhigen lässt, ist eine normale Nebenwirkung von Therapie. Man gräbt ja oftmals tief in sich verschlossene Erinnerungen aus, die man ja oftmals nicht ohne Grund tief in sich vergraben hat.
Ich persönlich mag den Vergleich zu Atommüll im Vorgarten:
Wenn man ihn ausgräbt, strahlt er erstmal und bereitet Schmerzen und Unruhe, aber ihn dort liegen zu lassen wäre langfristig mit dem Risiko verbunden, irgendwann alles zu vergiften und ist selten eine gute Alternative. Aber man muss auf die Titration achten.
Was mir geholfen hat:
Therapie, Therapie, Therapie. Verschiedene Sachen ausprobieren, möglichst viel Input holen.
Bei mir war es
ambulant zuerst eine tiefenpsychologische Therapie, dann eine Verhaltenstherapie.
Stationäre Aufenthalte entweder zur Stabilisierung oder zur Intensivtherapie, entweder vollstationär oder teilstationär (Tagesklinik)
Zusätzliche Therapie-Elemente integrieren wie Gruppentherapie oder Selbsthilfegruppen, Ergotherapie, Entspannungstechniken, körperfokussierte Elemente (Physiotherapie, Sport, Yoga...),
imho ganz wichtig:
Achtsamkeits-Training (lernen, sich wahrzunehmen,
gute Introspektion ist ein ganz entscheidender Faktor (Anspannungsregulation, Frühwarnzeichen,...), Kunst, Musik,...
In der Therapie den
Fokus primär auf Gefühlsregulation legen.
Trauma-Arbeit ist wichtig und sinnvoll, sollte aber sehr dosiert eingesetzt werden und immer wieder pausieren. Gute Titration ist hier ganz entscheidend.
Denn: Erst wenn man sich wirklich gut selber regulieren kann, hat man auch die Ressourcen, eine
Traumatherapie durchzustehen, ohne dabei vollständig zu dekompensieren.
Medikamente: Ich persönlich bin Medikament gegenüber aufgeschlossen, was ich persönlich erlebt habe und auch bei Mitpatienten mitbekommen habe, ist es gerade in Phasen, wie Du sie beschreibst, sinnvoll, eine Medikamentenkombi einstellen zu lassen: etwas zum Tag, etwas zur Nacht (oftmals, wenn gut kombiniert wird, verstärken sich die Medikamente positiv gegenseitig, arbeiten quasi Hand in Hand) und etwas zur Notfall- und/ oder Bedarfsmedikation.
Ich bin, wie gesagt, noch lange nicht am Ende, aber ganz grob könnte man meinen Weg wie folgt beschreiben:
Zuerst durch die tiefenpsychologische Therapie meine Vergangenheit grob aufgearbeitet, dann in der Verhaltenstherapie Emotionsregulation gelernt, die mir jetzt hilft, Trauma-Arbeit machen zu können.
Der stationäre Faktor kam am Ende der TP hinzu, als plötzlich im Alltag gar nichts mehr ging.
Und jetzt pendele ich zwischen intensiveren Phasen, in denen ich enger ans Trauma gehe, und Stabilisierungsphasen, in denen ich mich mehr aufs Hier und Jetzt fokussiere.
Zusammenfassend:Therapie kann sehr lange dauern. Bei vielen Störungen ist es realistisch, in Jahren zu denken.
Es ist völlig ok und auch sinnvoll, auch mal Pausen einzubauen und sich auch immer mal wieder umzuorientieren, was die Therapieformen oder die Therapeuten angeht, nur sollte man nicht ganz aufhören, solange man noch in diesem Zustand von Unruhe ist, den Du beschreibst. Dann lieber einen neuen Therapeuten suchen, vielleicht die Therapieform wechseln, aber am Ball bleiben.
Das war jetzt erstmal so das, was mir spontan als erstes in den Kopf gekommen ist, ich hoffe, dass vielleicht der eine oder andere Punkt dabei war, der Dir vielleicht etwas weiterhelfen kann.
Alles Gute!
LG Silver