Hallo Grawil,
ruf' in der nächsten Psychiatrie an, mach einen Termin für sie und fahr' sie ganz spontan (ohne sie vorher zu informieren) dahin. Die können sie natürlich nicht gegen ihren Willen da behalten, aber wenn sie erstmal dort ist, kannst Du sie evtl. davon überzeugen, dass es absolut notwendig ist, etwas zu tun. Wenn's weiter als 5 km ist, wird sie trotzdem weder aus dem Auto springen, noch vor Angst umkommen. Vielleicht wird sie sogar so wütend, dass sie kaum noch Angst hat. Das ist eine sehr brutale und letzten Endes auch entmündigende Vorgehensweise. Normalerweise bin ich deswegen eine strikte Gegnerin von Versuchen, Angehörige oder Partner zu therapieren, aber Eure Mündigkeit und jeglichen persönlichen Freiraum habt Ihr beide ja eh schon verloren.
Falls Dir obiges - wie ich vermute - zu krass ist: Ich finde auch, dass Du Deine Unterstützung einstellen solltest. Mit Ansage, denn es geht nicht darum, sie fallen zu lassen. Hör auf, ihr alles abzunehmen und es ihr leicht zu machen. Du brauchst es ihr auch nicht besonders schwer zu machen, aber verhalte Dich normal. Geh' aus, geh' Deinen Hobbies nach - ohne Deiner Frau einen Ersatz zu organisieren und ohne in Telefonbereitschaft zu sein. Fahr' zu Treffen der Hundefreunde. Du kannst Deiner Frau immer anbieten, mitzukommen. Will oder kann sie das nicht, dann fahr allein. Bau Dir wieder ein Leben auf. BTW - wovon lebt Ihr eigentlich? Wäre es nicht sowieso besser, wenn Du wieder arbeiten würdest? Wenn Du Dir das selbst nicht wert bist, dann denk an Euer Kind. Das braucht eine gewisse Normalität und Eltern als Vorbilder, die irgendwie im Leben zurecht kommen. Wo wollt Ihr in fünf bis zehn Jahren stehen? Viele hier im Forum machen sich ein irre schlechtes Gewissen, weil sie wegen der Krankheit nicht so für ihre Kinder da sein können, wie sie möchten. Die können alle nichts für ihre Krankheit, ihre Ängste oder dafür, dass manche Dinge eben manchmal nicht gehen. Aber die bemühen sich alle nach Kräften, etwas zu ändern. Ihr scheint Euch dagegen mit den vielen Restriktionen arrangiert zu haben und sucht jetzt eine Lösung innerhalb der Restriktionen. Die wird es aber nicht geben!
Zitat von grawil:Einen Therapeute oder eine psychotherapeutische Klinik finden ist doch nicht das Problem-aber wie soll man dorthin kommen, wenn man so stark unter einer Agoraphobie leidet, dass man sein Umfeld nicht weiter als ca. 5 km verlassen kann und das auch nur sehr kurzfristig.
Ihr habt beide x Bücher durch. Sie ist untersucht und so weit wohl gesund. Ihr wisst, dass ihr nichts passiert, wenn sie Angst hat. Natürlich ist es ein Sch***-Gefühl, das vertraute Umfeld zu verlassen, wenn man Agoraphobie hat. Aber es hilft nichts, der einzige Weg aus der Angst führt durch die Angst. Wenn Deine Frau es definitiv nicht schafft, sich einmal pro Woche zum Therapeuten bringen zu lassen, der etwas weiter als 5 km weg ist, dann muss sie sich einmal (in acht Wochen) in eine psychosomatische Klinik schaffen lassen, die vielleicht 100 km weg ist. Notfalls in Vollnarkose! Alles, was Ihr vor Ort selbst machen konntet, habt Ihr durch. Und entschuldige, einiges habt Ihr im therapeutischen Sinne offensichtlich falsch gemacht. Denn Ihr habt ja nur erarbeitet, dass Deine Frau bestimmte, eng eingegrenzte Situationen besser aushält, nicht dass sie die Angst besser aushält. Die Angst hat sich wohl eher verschlimmert, so dass alles, was Euren engen Rahmen sprengt, für Euch beide tabu ist. Wenn Du Deine Frau begleitest, ihr hinterm Fahrrad oder hinterm Pferd her fährst, dann gestattet sie sich einen Hauch von Normalität unter
Vermeidung der Angst. Was Ihr da täglich macht, ist nicht Üben, sondern Vermeiden. Dafür spricht auch, dass sie sofort wieder Angst vor den Aktivitäten bekommt, wenn sie nicht täglich gemacht werden. Sie scheint gar nicht das Gefühl, geschweige denn die gefestigte Erfahrung zu haben, dass sie Angst wird aushalten können und dass die Angst nachlassen wird.
Zitat von grawil:mit leichten AD´s (Insidon) hat sie es probiert. Sie reagiert sehr sensibel (schon bei kleinster Dosierung) darauf und das bereitet ihr noch größere Angst. Auch die Nebenwirkungen sind nicht zu unterschätzen. Vor diesen Erfahrungen/Hintergrund lehnt sie eine medikamentöse Behandlung ab. Sie sagt:Ich muß bei mir bleiben, um mit der Angst zu kämpfen und Medikamente stellen mich ruhig und dieses Gefühl kann ich nicht ertragen!.
Sie kämpft aber doch gar nicht...Und sie wird so ziemlich jedes Gefühl ertragen können, sofern sie nicht psychotisch ist. Das ist sie aber nicht, sie hat bloß 'ne Angststörung, da lauern in unser aller Phantasie Tod und Wahnsinn. Aber beides tritt nicht ein, die Angst ist körperlich und psychisch extrem unangenehm, aber ungefährlich. Auch da: Wenn's ohne Medikamente nicht geht - und ganz offensichtlich geht es nicht, jedenfalls nicht weiter - sollte man der medikamentösen Behandlungsoption eine ernsthafte Chance einräumen. Es wirken nicht alle Medikamente gleich, nicht alle stellen ruhig, außerdem ist ruhig nicht gleich ruhig. Die angstlösende Wirkung von Lorazepam z.B. ist etwas völlig anderes als die sedierende, mitunter benommen machende Wirkung von Insidon. Und ein Benzodiazepin wäre z.B. ein Mittel, das es Deiner Frau ermöglichen könnte, die Entfernung zu einem Therapeuten oder einer Klinik zu überbrücken. Und klar, was wirkt, hat meist auch Nebenwirkungen. Die sind unterschiedlich, je nachdem, zu welcher Gruppe ein Medikament gehört, sie lesen sich auch gruselig, aber manchmal muss man Risiken eingehen.
Zitat von grawil:Ein Argument meiner Frau ist auch, dass ihr eine sinnvolle und sie ausfüllende Beschäftigung fehlt. Sie ist der festen Überzeugung, sich damit auch von der Angst befreien zu können, da sie sich dann auf diese Sache und nicht mehr auf die Angst konzentrieren würde.
Angst ist das stärkste Gefühl, dessen ein Mensch fähig ist. Das ist ja auch evolutionsbiologisch sinnvoll (Du weißt ja sicher, die Sache mit Bären und Säbelzahntigern...). Aber dagegen kommt keine sinnvolle Beschäftigung an. Euer Sohn ist neun, es hat in den letzten Jahren bestimmt viele Dinge gegeben, die Deine Frau im Zusammenhang mit ihm hätte sinnvollerweise tun können. Ich nehme an, dass sie ihr Kind liebt. Außerdem liebt sie Pferde und vermutlich Euren Hund. Dich hoffentlich auch . All' das konnte sie bisher kein bisschen von der Angst wegbringen. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Wenn sie angefangen hat, sich der Angst wirklich zu stellen und sich wieder Freiräume zu erarbeiten, dann findet sich vielleicht auch eine sinnvolle und ausfüllende Beschäftigung - durch Dinge, die ihr im Alltag begegnen, durch Ausprobieren, durch Erfahrung, durch andere Menschen. Im luftleeren Raum, rein theoretisch, lässt sich keine Perspektive entwickeln.
Ich kenne alle diese Ausflüchte, die Gründe, was warum auf keinen Fall geht, und die (falschen) Hoffnungen nur zu gut. Ich leide auch unter Agoraphobie. Ganz am Anfang habe ich mich nicht mehr aus dem Haus getraut. Gar nicht. Aber nur drei Wochen lang, denn es war klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Ich hatte dann einen Termin bei einer Ärztin, und die hat mir vorher für diesen Termin ein Benzodiazepin verschrieben. Das habe ich genommen - trotz irrer Angst vor der Wirkung und den Nebenwirkungen. Und dann habe ich mich zur Ärztin bringen lassen. An der nächsten Straßenecke dachte ich, dass ich jetzt vor Angst wahnsinnig werde. Das ist nicht passiert. Stattdessen ließ die Angst nach. Die Tablette fing übrigens an zu wirken, als ich schon längst wieder zu Hause war, und die Angst, das Haus zu verlassen, hatte ich nie wieder. Trotzdem habe ich einiges an Therapie durch, schlimme Rückfälle und lange Zeiten, in denen ich nichts allein unternehmen konnte. Ich war in zwei psychosomatischen Kliniken, bei der ersten dachte ich, mein Leben ist zu Ende. Auch das war nicht der Fall. Die agoraphobische Phantasie malt immer die schlimmsten Katastrophen aus, die niemals eintreten. Deine Frau leidet unter Agoraphobie, Du nicht. Bleib' also in der Realität. Das heißt nicht, sie nicht ernst zu nehmen und ihre Angst zu leugnen. Es heißt nur, anzuerkennen, dass sie Angst hat und leidet, aber dass realistischerweise - und das weiß sie ja auch - keine Gefahr besteht. Und Euer Leben müsst Ihr an der Realität ausrichten, nicht an phantasierten Katastrophen.
Liebe Grüße
Christina