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Das ganze ist etwas lang geworden, also schnappt euch einen Tee und ein paar Snacks.

Hallo ihr Lieben, da ich in diesem Forum ja so oft um Rat und Hilfe bitte, dachte ich, ich teile auch mal etwas meiner Erfahrung (ich leide mittlerweile bereits seit 15 Jahren unter einer generalisieren Angststörung mit psychosomatischen Begleitsymptomen) und ein paar Tipps und Anregungen. Wenn ihr also gerade verzweifelt seid, vor allem wegen psychogenem Schwindel, dann lade ich euch herzlich ein, dies zu lesen.

Elf Jahre litt ich unter psychosomatischer Atemnot. Diese bin ich mittlerweile seit mehreren Jahren komplett los! Falls ihr dazu mal mehr Infos wollt, kann ich natürlich auch gerne mal einen Beitrag dazu posten.

Hier soll es aber primär über Schwindel gehen. Ich bin keine Ärztin, bloß Betroffene, die sich über die Zeit reichlich informiert und eingelesen hat, also sind dies bloß meine persönlichen Erfahrungen und keine medizinischen Standards, an denen man eine Erkrankung ermessen kann.
Immer wieder hatte ich mal Schwindel, Mal verbunden mit der Periode, mal bei Hitze, bei übermäßigem Sport…wir Alle hatten wahrscheinlich schon mal eine kurze Schwindelattacke. Aber meistens bleibt es ja dabei. Bei der einmaligen Attacke, die einen zwar aufschrecken lässt, aber auch wieder vergeht und nach ein paar Tagen vergessen ist.
Zum Problem wird es, wenn diese Attacken immer wieder auftauchen, oder sogar zu einem Dauerschwindel werden, der sich über Stunden, Tage oder Wochen streckt.
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Drehschwindel (alles dreht sich), Schwankschwindel (man fühlt sich, als wäre man auf einem Schiff), diffusem Schwindel (ungenaue Benommenheit) und Liftschwindel (wie im Aufzug).
Ich hatte all diese Varianten des Schwindels bereits, manchmal auch gleichzeitig. Dir geht es vielleicht auch so.
Bei mir begann es an einem ganz normalen Arbeitstag. Es war nicht besonders heiß, nicht außergewöhnlich stressig. Mitten beim Laufen hatte ich auf einmal das Gefühl, ein Magnet würde mich stark nach rechts ziehen.
Ich bekam automatisch wahnsinnige Panik, da ich starke hypochondrische Züge habe und direkt ans schlimmste dachte. Ich setzte mich hin und rief eine Kollegin.
Irgendwann kamen die Sanitäter, sehr unaufgeregt, sahen nach meinem Blutdruck und fragten, ob ich genug gegessen oder getrunken hatte (Stichpunkt Dehydration oder Unterzuckerung, was solche plötzlichen Anfälle auslösen kann).
Alles war unauffällig, also schickten sie mich nach Hause.
Am nächsten Tag ging ich wieder zur Arbeit und alles war wieder in Ordnung.
Doch an diesem Tag suchten mich alle paar Wochen immer wieder solche kurzen Anfälle heim, also beschloss ich, das Ganze mal ärztlich abzuklären.
Meine Hausärztin machte ein kurzes EKG und nahm diverse Blutwerte ab (inklusive Schilddrüse, Vitamine) und verwies mich an einen HNO, an einen Neurologen und einen Kardiologen zur weiteren Abklärung.
Long Story Short- nach einer monatelangen Ärzteodyssee (wir kennen ja alle die Wartezeiten) hatte ich alle Untersuchungen hinter mir. Nichts gefährliches wurde gefunden. Absolut garnicht.
Mein Orthopäde sagte, dass ich stark verspannt war und mein Optiker fand ein Problem bei meiner Augenmuskulatur, aber nichts, was diese extremen Schwindelzustände so richtig erklären könnte.
Ich wurde frustriert, die Schwindelproblematik erschien immer häufiger und dauerte länger an, wobei ich starke Tendenzen zu einem Schwankschwindel entwickelte. So als würde man instabil sein, als würde der Boden sich bewegen, schaukeln wie ein Karussell auf der Kirmes, wie man sich fühlt nachdem man eine Achterbahn gefahren ist und danach wieder festen Boden unter den Füßen hat.
Ich wollte die Diagnose „psychogener Schwindel“ nicht akzeptieren. Es war unmöglich zu glauben, dass das alles „nur“ psychisch war.
Also suchte ich weiter, stellte mich bei Alternativmedizinern vor, startete eine Physiotherapie für mein HWS-Syndrom (wodurch Schwindel auch stammen kann), aber all das half langfristig kein Stück.
Ich misstraute den ärztlichen Urteilen und fing an, mir zweitmeinungen zu holen, verbrachte Stunden damit, im Internet zu recherchieren und mich in Krankheitsbilder reinzuzwingen, bis ich 100% überzeugt war, daran erkrankt zu sein. Ich hatte auf einmal Kopfschmerzen, Schwäche und dachte nichts würde mehr gehen.
Mittlerweile verging kein Tag ohne Schwindel und ich traute mir immer weniger zu. Ich meldete mich oft krank bei der Arbeit, verbrachte meinen Tag im Bett, traute mich kaum auf die Toilette oder alleine duschen zu gehen.
Irgendwann wusste ich aber, dass es so nicht weiter gehen könnte. Also dachte ich mir: „Alles klar, du weißt, dass du organisch gesund bist und dir nichts passieren kann. Also lassen wir es mal drauf ankommen, mal schauen was passiert“
Ich machte mir Druck, wollte wieder leistungsfähig sein und zwang mich, meinen Alltag wieder normal durchzuführen.
Das lief mal besser und mal schlechter, aber tendenziell ging es mir damit besser also behielt ich es bei.
Wochen und Monate verstrichen und mit der Zeit wurde meine Angst vor den Symptomen immer geringer und geringer. Meinen normalen Dauerschwindel hielt ich aus, als wäre nichts los, nur in manchen Situationen, wo es etwas extremer wurde, hatte ich mal Angst zu kämpfen, aber ich dachte: „Das ist jetzt halt so. Damit musst du leben und dich damit abfinden“.
Nach einer gewissen Zeit, war der Schwindel eher nervig als beängstigend und ich sprach über ihn wie über einen störenden Chef oder ein nerviges Kleinkind, nahm die Situation mit Humor und nahm der Situation so oft die Anspannung.

Nach so vielen guten Wochen, fast Monaten, passierte jedoch plötzlich etwas, was alles änderte. Ich hatte einen kleinen Kreislaufzusammenbruch. Überhaupt nichts wildes, hat bestimmt jeder in seinem Leben mal, aber ab dem Punkt war die Angst zurück und zwar stärker denn je.
Ich war mir auf einmal sicher, dass ich ein Herzproblem haben müsse, rannte erneut panisch zu allen Ärzten, ließ mich wieder von allen Seiten abchecken, wieder war alles in Ordnung. Ich verbrachte sogar ein Wochenende in einer kardiologischen Klinik, wo ich 24/7 überwacht wurde, aber trotz konstanten Schwindels und dem Gefühl, in Ohnmacht zu fallen, war abgesehen von einem erhöhten Puls, alles absolut unauffällig und mir wurde von drei verschiedenen kardiologischen Oberärzten versichert, dass mein Herz gesund war.
Ich war verzweifelt.
Der Schwindel war stärker denn je, verbunden mit einer unfassbaren Angst und Unsicherheit. Ich kündigte meinen Job, zog mich komplett zurück und versank in einem Pool aus Selbstmitleid, Verzweiflung und Endzeitstimmung.

Eines Nachmittags hatte ich dann genug. Ich konnte einfach nicht mehr.
Ich ließ mich zu meiner Psychiaterin fahren und berichtete ihr von meinem Zustand. Sie reagierte ganz ruhig und gefasst, was mich unfassbar beruhigte und verschrieb mir Medikamente gegen die Angst.
Erst war ich skeptisch, ich nahm sehr ungern Medikamente, da ich sehr sensibel darauf reagiere, jedoch sah ich keine andere Möglichkeit. Ich brauchte Hilfe.

Also wenn auch etwas skeptisch, ich nahm meine Medikamente.
Elvanse gegen mein ADHS, Opipramol als Angstlöser und Promethazin für den Notfall. Das soll keine Medikamentendiskussion werden, Jeder verträgt was Anderes am Besten. Ich wollte es trotzdem anführen, vielleicht als Denkanstoß für mögliche medikamentöse Therapie. Aber man sollte das natürlich ganz individuell mit dem behandelnden Arzt besprechen.

Nach ein paar Tagen Eingewöhnungszeit merkte ich, wie ich ruhiger wurde. Und erst dann merkte ich, wie unfassbar angespannt ich davor war. Die Wochen, Monate, vielleicht sogar Jahre Dauerstress.
Und ich merkte, was das mit meinem Körper tat. All die Verspannungen, mein jahrelanger Reflux, mein ständiger Bewegungsmangel durch das Zurückziehen und „Schonen“, meine unregelmäßige ungesunde Ernährung, meine Unfähigkeit mal im hier und jetzt zu leben. All das kam mir in den Kopf und ich begann langsam, Schritt für Schritt daran zu arbeiten.
Ich informierte mich über die Stresshormone Adrenalin und Cortisol, darüber was im Körper passierte, wenn es dauerhaft ausgeschüttet wird. Ich informierte mich über Panikattacken.
Ich erfuhr, dass Augen, Nacken und Innenohr das Gleichgewicht regulierten und gab mir mehr Mühe, sowohl an meinen Verspannungen als auch an meinem Augenproblem zu arbeiten. Ich machte endlich einen OP-Termin für die Augen, der Eingriff stand schon seit Jahren an.
Ich ging jeden Tag spazieren, egal wie es mir ging, und es entwickelte sich langsam von der Herausforderung zur Entspannung, zu etwas, worauf ich mich schon im Vorhinein freuen konnte.

Natürlich bin ich kein Wunderkind. Und dies ist keine „Über Nacht ist es weg“-Geschichte. Ich habe immernoch immer mal wieder Schwindel. Manchmal habe ich auch Angst. An manchen Tagen holt mich die ganze Sache ein und es fühlt sich so an, als wäre man keinen Schritt weiter. Aber das stimmt nicht. Es ist nicht schlimm, Rückschläge zu erleiden. Man muss nur immer wieder aufstehen.

Also mein Ratschlag an dich: Steh immer wieder auf!
Ich war schon so oft in meinem Leben an einem Punkt, an dem ich dachte, es geht nicht mehr weiter. An dem ich dachte, dass es nie mehr besser wird.
Aber es ist jedes Mal weggegangen, egal wie ekelhaft und lang es war und es ging immer weiter!
Wenn du also unter Schwindel leidest, geh auf jeden Fall zum Arzt und lass es erstmal organisch abklären.
Schwindel ist in erster Linie ein Symptom. Ein sehr unspezifisches. Aber die gute Nachricht ist, dass Schwindel vor allem als alleinstehendes Symptom, vor allem wenn es dauerhaft ist und wenn man weder stürzt noch ohnmächtig wird keine gefährliche Ursache hat.
Es ist total ekelhaft, keine Frage, aber ist nur in den seltensten Fällen Ausdruck einer bedrohlichen Erkrankung.
Also lasst euch durchchecken, denkt auch an die Augen, die Ohren, den Nacken. Denkt an Medikamente, könnte es eine Nebenwirkung sein? Denkt an Hormone, vor allem Frauen, lasst euren Hormonstand checken, eure Schilddrüse, eure Nebenniere. Geht zum Kardiologen.

All diese Dinge sollten abgeklärt sein, aber wenn all diese Bereiche abgeklärt sind, versucht psychogenen Schwindel als Ursache zu akzeptieren.
Dabei handelt es sich nämlich keinesfalls um eine Einbildung, sondern um tatsächliche Prozesse im Körper, die durch Stress und Angst ausgelöst werden.
Also ja, euer Schwindel ist echt.
Aber, er ist auch behandelbar.
Der Schlüssel ist Akzeptanz, aber keine Resignation.
Akzeptiert den Schwindel, aber lasst ihn nicht bestimmen.
Sucht euch einen Therapieplatz, seid immer offen neuen Methoden gegenüber. Verzeiht euch Rückschläge. Versucht, eurem Körper zu vertrauen, er ist zu viel mehr im Stande als ihr denkt.

Wenn du das gerade liest und verzweifelst, denkst es geht nicht mehr weiter und einfach nur noch willst, dass es aufhört…
Ich war du.
Manchmal bin ich noch du.
Diese Gedanken sind Teil des Prozesses, höre sie, akzeptiere sie aber lass sie auch wieder ziehen.
Steh. Immer. Wieder. Auf.
Mach immer weiter.
Nichts bleibt für immer so, wie es war. Diese Gewissheit kann man auch für seinen Vorteil nutzen.
Nichts ist für immer. Nicht das Schöne, aber auch nicht das Leid.

Sei nett zu dir selbst, versorge dich und deinen Körper, probiere Entspannungstechniken aus und was für mich mit Abstand das schwierigste war und ist: Hab Geduld. Hab einen langen Atem. Von heute auf morgen wird das nicht magischerweise verschwinden.
Es ist unfassbar viel Arbeit, aber es ist der einzige Weg.


Sieh den Schwindel nicht als Feind, sondern als Kollegen, der halt mal wieder dabei ist.
Mach dir keinen Druck. Versuche kleinschrittig zu denken.

Mit der Zeit wirst du den Schwindel nicht mehr als bedrohlichen Feind sehen. Er verliert seine Macht, seine Funktion und dient der Angst nicht mehr als Vermittler.
Genauso bin ich auch meine Atemnot losgeworden.

Dein Körper ist dein Freund, dein Körper bist du, du bist dein eigener Freund.

Du kannst etwas ändern. Du kannst dir helfen.

25.09.2024 15:20 • 27.09.2024 x 5 #1


12 Antworten ↓


@jnnkm

Ach ja, was mir auch noch wichtig ist zu erwähnen:

Auch psychogener Schwindel ist nur ein Symptom, keine alleinstehende Erkrankung.
Versuche, die Ursache auch in deiner Psyche zu finden, nicht nur in deinem Körper.

Wenn du den Auslöser erkennst, wird es dir deutlich leichter fallen, damit zu arbeiten und dir ein angenehmeres Leben zu ermöglichen.

A


Meine Erfahrung mit psychogenem Schwindel

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Zitat von jnnkm:
ich leide mittlerweile bereits seit 15 Jahren unter einer generalisieren Angststörung mit psychosomatischen Begleitsymptomen

Danke für den aufmunternden Text.
Du schreibst, seit 15 Jahren leidest du an der Angststörung.
Hattest du nie Psychotherapie?

Ich habe schon viele Therapien hinter mir.
Ich habe sowohl ADHS, als auch Autismus, also sind Angststörungen leider immer wieder Teil meines Lebens. Außerdem erlitt ich sowohl im Kindesalter, als auch als Jugendliche mehrere Traumata, hatte da irgendwie echt Pech was das betrifft und musste viel einstecken. Deswegen verhält sich meine Angststörung etwas „hartnäckiger“ und ist mit vielen Grunderkrankungen und traumatischen Erlebnissen gekoppelt.

Vielen Dank für deinen Bericht,er hat mir Mut gemacht nicht aufzugeben.
Mir geht es seit Jahren so wie dir und ich tue mich sehr schwer,die Psyche mit einzubeziehen,obwohl alles mehrfach untersucht würde.
Gerade dieser Schwindel hindert mich so am Leben,er macht mir solche Angst, er macht mich hilflos .
Ich hätte gerne meine Kontrolle über meinen Körper und mein Leben zurück. Vielleicht hast du noch mehr Tips.

@Siglinde123
Hi, es freut mich, dass mein Beitrag dir etwas Trost gespendet hat.
Könntest du spezifizieren, wofür genau du noch mehr Tipps möchtest? Was fällt dir am schwersten, wo bist du am verzweifelsten?
Ich kann mir dann noch ein paar Gedanken machen und finde dann bestimmt im Laufe des Tages ein paar ruhige Minuten, um eventuell noch etwas spezifischer zu werden und dir hoffentlich damit etwas helfen zu können.

Wie schön das du so schnell antwortest.Tips bezüglich Schwindel.Du schreibst Akzeptanz aber wie akzeptiere ich so etwas,was mir mein Leben verdorben.
Darf ich fragen wie alt du bist?

Ich bin 20. Bin gerade etwas auf dem Sprung, aber ich werde mich nachher mit einer ausführlicheren Antwort nochmal melden. Ich hoffe es geht dir momentan einigermaßen gut und wünsche dir einen schönen Nachmittag.

@jnnkm
Darf ich fragen, welche Art AugenOP Du hattest?

@Nachtsocke Die steht bald an. Habe aufgrund einer Augenmuskellähmung ein Schielen entwickelt und habe eine Schiel-OP. Momentan trage ich eine Prismenfolie, habe dabei einen Prismen-Wert von insgesamt 36, das ist schon ziemlich hoch.

@jnnkm
Ich hatte Mitte August ebenfalls eine SchielOP.
Der Internus links wurde einen halben Zentimeter gekürzt. Aber mein Prisma war natürlich nicht annähernd so hoch wie bei Dir.
Ich musste auch knapp 3,5 Jahre auf die OP warten.
Die erste Woche postOP war ein Albtraum, mir hatte es erstmal komplett das sensorisch/visuelle System zerschossen, aber jetzt bin ich sooo froh über die OP! Auch schwindeltechnisch hat das Vieles verbessert!

@Nachtsocke
Ich hoffe auch, dass das vielleicht viel bei mir verbessert, da ich ja schon eine sehr hohe Prismenzahl habe und im Laufe des Tages auch immer sehr stark merke, wie überanstrengt und müde meine Augen werden. Bei mir muss eventuell an beiden Augen eine OP durchgeführt werden- da hab ich ehrlich gesagt ziemlichen Respekt vor, aber was sein muss muss sein.
Ich freue mich sehr für dich, wenn es dir damit besser geht

@Siglinde123

Hallo, gestern habe ich es dann leider doch zeitlich nicht mehr so hinbekommen. Ich wollte mir auf jeden Fall Zeit nehmen für diese Nachricht, also habe ich es auf heute morgen verschoben.
Du meintest du hast Probleme mit der Akzeptanz- und das kann ich absolut nachvollziehen. Die Akzeptanz war und ist für mich noch heute einer der schwierigsten Prozesse in der Bewältigung der Schwindelproblematik. Denn wie genau kann man etwas akzeptieren, was einem das Leben manchmal so zur Hölle macht?
Leider gibt es da kein goldenes Rezept zu und ich bin wie gesagt auch keine studierte Therapeutin, aber ich kann dir Gedanken und Strategien mitteilen, die mir persönlich dabei helfen.

Besonders wichtig für mich war erstmal die Einsicht, dass Akzeptanz ein Prozess ist und kein alleiniger Schlüsselmoment, in dem man etwas von jetzt auf gleich einfach hinnehmen kann. Das bedeutet, dass es absolut normal ist, dass der Prozess der Akzeptanz und somit auch das Umgehen mit und die Bewältigung von den Symptomen nie linear positiv verlaufen kann. Vor allem anfangs fällt es sehr schwer, weil unser Gehirn es von allen möglichen Alltagssituationen gewohnt ist, direkt eine Reaktion auf eine Aktion zu erlangen.
Wenn wir etwas leckeres essen, werden sofort Glückshormone ausgeschüttet. Stoßen wir uns den Zeh, verspüren wir einen Schmerz.
Nur leider funktioniert das bei der Angst nicht so. Die ist nämlich total tief in unserer Psyche verankert und breitet sich über die Zeit aus, ich stelle mir das oft wie eine riesige Autobahn in meinem Kopf vor. Und da reicht es leider nicht, sich für einen Moment damit abzufinden. Es braucht immer wieder Übung, dauernde Herausforderungen, um diese Autobahn umzubauen und die Ausfahrten umzulenken.
Das Gehirn ist also frustriert, wenn es bei einer einmaligen kurzen Akzeptanz nicht direkt eine massive Belohnung erfährt und neigt dazu, diese Methode wieder abzustoßen, da es ihm nicht als hilfreich erscheint.
Das Gehirn liebt nämlich Effizienz und mag es garnicht, gespeicherte Abläufe neu aufzubauen oder umzuändern. Also reagiert es bei öfteren Versuchen oft mit Überforderung und Angst, um diese Veränderung abzustoßen. Denn unser Gehirn als Muskel verfügt nicht über rationales Denken. Ihm geht es ums Überleben und darum, dabei möglichst viel Energie zu sparen.
Also müssen wir quasi „gegen unsere Intuition, gegen unser Bauchgefühl” handeln.

Hatte man beispielsweise mal im Supermarkt eine Panikattacke, verbindet das Gehirn diese beiden Ereignisse miteinander und ist der festen Überzeugung, dass es einem im Supermarkt immer so geht.
Wir, mit unserem rationalen Denken, wissen aber, dass es keinen kausalen Zusammenhang zwischen dem Ort und der Attacke gibt und werden deswegen von jedem Therapeuten und jedem Ratgeber dazu aufgefordert, uns der Situation zu stellen, um diesem Gedanken, diese Ausfahrt auf der Gedankenautobahn umzulenken. Und das obwohl unser ganzer Körper uns davon abrät. Das Gehirn will uns beschützen, also schüttet es Angsthormone aus, um uns mitzuteilen, dass wir das doch lieber lassen sollten.

Das Unterbewusstsein spielt ebenfalls eine unfassbar große Rolle. Wir nehmen unterbewusst jede Sekunde mehrere Millionen Reize wahr. Von innen, als auch von außen. Dabei bekommt unser bewusstes Denken davon nur etwa 40 ab. Unser Gehirn filtert also, was gerade am wichtigsten erscheint und leitet das an das Bewusstsein weiter.
Ein kleines Experiment dazu: Wusstest du, dass wir eigentlich den ganzen Tag unsere eigene Nase sehen können? Wenn man darauf achtet, sieht man sie plötzlich, weil das jetzt für unser Bewusstsein relevant ist. Nach ein paar Minuten blendet man dies wieder aus, weil etwas anderes gerade wichtiger ist.
Oft werden Ängste vor körperlichen Symptomen oder die psychogene Manifestation dessen durch ein einmaliges körperliches Erlebnis ausgelöst. Meine jahrelange Atemnot begann beispielsweise nachdem ich mich als Kind an einem Stück Wurst verschluckt hatte.
Beim Schwindel war es ein kurzes Kreislaufproblem, was eine sofortige Angst vor der Ohnmacht auslöste.
Das Gehirn merkt sich das und versucht alles, um dich vor einer erneuten Gefahr (beispielsweise einer Ohnmacht) zu bewahren.
Wenn man nun eine manifestierte Angst vor Schwindel entwickelt hat, durchsucht das Gehirn krankhaft alle Reize aus dem Unterbewusstsein und schickt deinem Bewusstsein alle Reize, die mit dem Erlebnis oder der Gefahr zusammenhängen. Weiche Beine zum Beispiel, ein Kribbeln im Kopf, ein leichtes Schwanken etc.
Deswegen fühlen sich die psychosomatischen Beschwerden auch so echt an- weil es nun mal echte Signale aus unserer Umgebung oder unserem Körper sind-die bei Anderen einfach durch das Unterbewusstsein rasseln und nie wahrgenommen werden. Deswegen ist es bei psychogenem Schwindel auch so unfassbar selten, dass man tatsächlich stürzt oder das Bewusstsein verliert, da der Körper ja eigentlich problemlos damit fertig werden kann, wir es nur so intensiv wahrnehmen.

Angst ist also keineswegs ein böser Teufel in Kopf, sondern nur unser hilfloses, gestresstes Gehirn, was verzweifelt versucht, uns zu beschützen und sich dabei selbst zerstört, ohne es zu merken. Es ist also unsere Aufgabe, uns darum zu kümmern.

Wie funktioniert Akzeptanz? Diese Frage kann man in so ziemlich jedem Kontext stellen, aber für mich ist der erste Schritt zur Akzeptanz das Verstehen und Nachvollziehen.
Wenn ich also verstehe und nachvollziehe, wieso es mir so geht wie es mir geht und was der Auslöser ist, wird das ganze Phänomen entmystifiziert und verliert einen riesigen Klotz an Bedrohung.

Leider gibt es kein Wundermittel dafür. Aber unsere wichtigste „Waffe“, das was uns stärker macht als die Angst, ist unser rationales Denken und die Fähigkeit, Erlebnisse im Großen Ganzen zu reflektieren und einzuordnen. Und damit können wir die Dinge für uns verändern.

Ein etwas alltägliches Beispiel ist hier auch eine Diät. Die wird auch von Vielen abgebrochen, da das gewohnte Belohnungskonzept hier nicht direkt anschlägt. Aber wenn man einen langen Atem hat und trotz allem dranbleibt, erzielt man Erfolge und kann deinen Lebensstil ändern.

Es ist übrigens ganz normal anfangs eine Erstverschlimmerung zu erleiden, da das Gehirn natürlich erstmal abweisend auf diese Veränderung reagiert, aber das legt sich auch nach der Zeit. Unterstützend empfehle ich natürlich immer eine begleitende Psychotherapeutische Behandlung und eine eventuelle Medikation, die bei dem Prozess unterstützen kann.

Also wenn du das nächste Mal Schwindel hast, denk immer an dein armes gestresstes Hirn, was mit allen Mitteln versucht, dich zu schützen und nimm dir vor ihm diese Aufgabe in Zukunft abzunehmen.

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Dr. Christina Wiesemann
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