da ich ebenfalls seit ca. 2 Jahren mit Panikattacken zu tun habe, gebe ich nun auch mal meinen Senf zu diesem Thema dazu.
Ich hatte meine erste PA im alter von 17, was ich aber damals nicht deuten konnte. Diese wiederholte sich danach nochmal einen Tag später, kam aber nie
wieder, bis ich dann 21 wurde. Ich hatte viel getrunken an dem Abend, auch sonst war ich dem Alk. ziemlich verfallen. Hatte gerade eine Abfuhr von einer
Frau bekommen, mein neuer Job nach dem Abitur war nicht dass was ich mir erhofft hatte. Bin nachts aufgewacht, mir war schwindelig, ich hatte einen etwas
erhöhten Puls. Und DA begann mein eigentlicher Leidensweg, denn statt mir zu sagen Du bist halt betrunken, das wird wieder, so wie sonst auch immer
erinnerte ich mich an meinen Chef, der vor einigen Wochen einen Herzinfarkt erlitten hatte. Mit meinem Laienhaften Wissen über das menschliche Herz wusste
ich natürlich nicht, dass sich vor einem Herzinfarkt diverse Vorsymptome einstellen, ich dachte einfach nur das ist bestimmt auch ein Herzinfarkt.
DIESE STELLE muss man sich besonders merken, denn hier beginnt die Sorte Mensch, zu der wir gehören, Gedanken zu spinnen, die nicht im Entferntesten der
Realität entsprechen. Herzinfarkt mit 22? Von einer halben Flasche Wein am Vorabend? Obwohl man 3 mal die Woche sport macht, kein Übergewicht hat und
Nichtraucher ist? Und fast jeden Abend 2-3 Gläser Wein trinkt, und das seit 2 Jahren? Aber nein, Menschen wie wir sagen uns Das ist das Ende, wir müssen
sterben!. Und da habe ich den entscheidenden Fehler gemacht, und habe mich in das Krankenhaus begeben. EKG, Röntgen, Bluttests, 2 Tage Stationäre Aufnahme
mit Verdacht auf Herzinfarkt. Ich bin mir sicher, hätte ich damals gewusst was ich heute weiß, ich wäre einfach wieder eingeschlafen.
Nun ist es ja so, dass man nach so einem Erlebnis, dass sich fest im Kopf verankert hat, beginnt, sich mit Krankheiten im Allgemeinen auseinanderzusetzen,
besonders wenn man wie ich in einem großen Krankenhaus tätig ist und Menschen mit Krankheiten aller Art jeden Tag sieht. Herzkranke, Krebskranke, Psychisch
Kranke.. Die Liste kann man ewig fortführen. Ein weiter Grund dass ich begann, mir Krankheiten einzureden. Herzkrankheiten waren an oberster Stelle, dicht
gefolgt von Gehirntumoren und drohenden Schlaganfällen.
STOP!
Wieso gerade diese Krankheiten? Wieso nicht Angst vor einem Beinbruch? Oder vor einer Grippe? Es ist NICHT in erster Linie die Schwere der Krankheit, es ist
viel mehr die Tatsache, dass man NICHTS gegen meine vorher genannten Krankheiten tun kann!! Das ist doch das Problem! Überlegt mal, was ist denn wenn ihr
einen schweren Schlaganfall bekommt und umkippt? Oder einen Herzinfarkt, der unmittelbar zum Tode führt? Ein gebrochenes Bein tut mit Sicherheit länger weh,
denn nach einem Herzinfarkt kippt man um und ist tot. Man muss sich keine Sorgen um Schmerzen oder langwierige Behandlungen machen, man ist tot. Darauf
läufts doch hinaus. Wenn ein Herzinfarkt NIE zum Tod sondern nur sagen wir mal zu einer stationären Behandlung führen würde, KEINER VON UNS HÄTTE SO GROßE
ANGST DAVOR und wir würden den Herzinfarkt von unserer Liste der am meißten gefürchtetsten Krankheiten streichen.
Dass ich in den nächsten 6 Monaten nach etlichen Panikattacken in Flugzeugen, in entfernten Städten und auf der Arbeit eine Agoraphobie entwickelt hatte,
dürfte hier wohl keinen mehr wundern. Trotzdem machte ich meine Arbeit weiter und das kriegte ich nach einer gewissen Zeit wieder vernünftig auf die Reihe.
Meine Odyssee der Krankheiten ging weiter. Ich hatte, nach etlichen Untersuchungen schwarz auf weiß, dass ich weder eine Herzkrankheit, noch eine andere
Physische Krankheit hatte. Dann kam ein neues Problem hinzu, die Angst vor Krankheiten, die DAMALS MEINER MEINUNG NACH nicht mit Sicherheit ausgeschlossen
werden konnten. Meine neue Angstkrankheit hieß
SCHIZOPHRENIE
Monatelang diese Angst, verrückt zu werden, die Kontrolle zu verlieren, durchzudrehen, mein Leben nicht mehr in den Griff zu bekommen. Jedes Geräusch musste
ich überprüfen. Klingelt das Telefon? Oder bin ich schon verrückt und ich bilde es mir nur ein? An nichts anderes konnte ich mehr denken.
Na, fällt euch was auf? Der letzte Satz? Plötzlich hatte ich keine Angst mehr vor Herzkrankheiten, Tumoren, Schlaganfällen. Und das Wichtigste: Ich verlor
zwischenzeitlich etwas die Angst vor Panikattacken, weil ich so sehr mit Geisteskrankheiten befasst war, dass ich plötzlich 1200 km weit fliegen konnte. Was
also war geschehen?
Ich hatte meine Angst vor Krankheiten, die UNMITTELBAR zum Tode führen, verloren. Dafür aber hatte ich Angst, verrückt zu werden. Da ich aber wusste, dass
man nicht innerhalb kurzer Zeit den Verstand verlieren kann, ging ich das Risiko ein, auch mal weiter wegzufahren/fliegen, wenn auch nicht alleine. Mitte
letzten Jahres war es dann der Nahe Osten, Paris, diverse Städte in Deutschland. Natürlich bekam ich trotzdem PAs, aber nur noch seehr selten.
Nun hatte ich meinen alten Aktionsradius wieder, aber trotzdem hatte ich immer wieder diese Ängste. Alleine in meiner Wohnung, wenn meine Mutter wieder mal
im Ausland war. Was ist, wenn was passiert? Was ist, wenn ich in der Wohnung umkippe? Sowas kam immer wieder. Aber sobald meine Mutter wieder da war, ging
das sofort weg. Sie wohnt zwar einige Kilometer weit weg, aber diese Sicherheit, dass man ja bei einem Notfall immernoch jemanden hätte, ließ meine Angst auf
ein Minimum schwinden. Nun ging ich, nach fast 2 Jahren Leidensweg, endlich zu einem Psychotherapeuten. Ixh schilderte ihm meine Angst vor Schizophrenie und
erzählte ihm meine Geschichte. Was mich anfangs wunderte, aber im Nachhinein aber auch sehr aufbaute, war dass er auf meine Angst vor Schizophrenie einfach
sagte Ich brauche Sie nicht auf diese Krankheit zu untersuchen. Die haben Sie nicht, sowas merkt man nach einem längeren Gespräch. Ich war erleichtert.
Ach ja, Ich hatte bis dahin, ca. 1,5 Jahre, eine Medikament genommen, Insidon, 2 Tabletten am Tag, die mir aber nicht viel brachten. Hatte es
zwischenzeitlich abgesetzt (für 3 Monate) und wieder genommen, merkte aber keine Verbesserung. Nach diesem Termin setzte ich sie endgültig ab, und es war die
Beste entscheidung die ich gemacht hatte. Medikamente sind in meinen Augen Gefühlsunterdrücker. Die Gedanken sind dieselben, nur die Gefühle sind abgeflacht.
Vielleicht mögen Sie dem einen oder anderen geholfen haben, aber bei mir haben Sie nur die Probleme verdrängt, und das eigentlich mit sehr geringem Erfolg.
Nun machte ich ein Resümee:
Ich bildete mir also Herzkrankheiten ein, die ich nicht hatte.
Ich bildete mir also drohende Schlaganfälle ein, die ich nicht hatte.
Ich bildete mir also Tumore ein, die ich nicht hatte.
Ich bildete mir also Geisteskrankheiten ein, die ich nicht hatte.
Nun war ich also der GESUNDESTE MENSCH auf der Welt. Ich konnte überall hinfliegen, fahren oder gehen. Aber nun kommen wir zu dem Problem, dass alle von euch
sicher auch kennen, sozusagen den KERN unserer Krankheit der Agoraphobie/Hypochondrie etc, den Grund, wieso bei vielen Konfrontationsübungen nicht den
gewünschten Erfolg bringen.
WER GARANTIERT MIR DENN, DASS ES MORGEN AUCH SO IST?
Ich kann mich heute also in ein Flugzeug setzen, kriege Angst, evtl. eine PA an Bord bei 6 Stunden Flug und lande dann. Ich lebe, alles ist okay, ich bin nicht tot, nicht verrükt. Aber wie ist es wenn ich morgen zurückfliege? Vielleicht werde ich dann ja sterben? Heute kann ich an der Aldi Kasse anstehen, wenn
ich auch Angst habe umzukippen. Aber wer garantiert mir, dass es morgen auch so ist?
Und nun kommt die Antwort, die keiner hören will von uns. Wir weichen diese Antwort aus mit lächerlichen Meidungstaktiken, mit vermeintlichen Sicherheiten
oder mir Pillen im Portmonnaie:
KEINER GARANTIERT UNS DAS. JAAAA! Vielleicht stehen wir morgen mal wieder beim Einkaufen an der Kasse, haben Angst umzukippen und bekommen eine PA. Und ja,
vielleicht kippen wir auch um, weil wir gerade dann einen Hirninfarkt bekommen. Oder wir drehen im Stau durch, statt wie immer mit schweißnassen Händen am
Lenkrad zitternd die nächste Ausfahrt zu erwarten. Vielleicht drehen wir durch, steigen aus und fangen an zu schreien. Oder wir fahren in eine fremde Stadt und kippen inmitten des Marktplatzes um, weil wir einen Herzanfall erleiden. Das alles KANN passieren. Ganz genau. Wir sind so sehr auf der Suche nach Sicherheiten, weil wir nicht glauben mit der Situation fertig zu werden. Zugegebenermaßen ist die Chance dass eines der Ereignisse eintritt, sehr gering.
ABer natürlich kann es passieren, genauso wie es passiert dass man morgens im World Trade Center seinen Kaffee genießt und plötzlich ein Flugzeug in das Gebäude stürzt. Oder dass man an der Kasse steht, Angst hat umzukippen und plötzlich von einem maskierten Unbekannten erschossen wird, der die Kasse plündern
will. Die Welt ist ein verrückter Ort und man weiß einfach nicht, was passieren wird. Vielleicht werde ich in 10 Jahren Schizophren, ja vielleicht bilde ich mir dann Dinge ein, oder ich habe einen Hirntumor und kann nicht mehr sprechen oder sehen. Vielleicht kommt es so. Und mit Sicherheit werden wir irgendwann sterben. Ob nun mit 80 an einem Herzanfall oder mit 30 bei einem Verkehrsunfall. Glaubt ihr denn wirklich, ihr könnt alles kontrollieren? Glaubt ihr Im Ernst, durch euer Vermeidungsverhalten etwas positives zu erreichen? Wer jetzt noch mit Ja antwortet, dem wird es schwer fallen meinen nächsten Satz zu
verinnerlichen, mir fiel es genausoschwer. MAN KANN NICHT ALLES KONTROLLIEREN. DAS GEHT NICHT.
ABER MAN KANN SICH SELBST KONTROLLIEREN.
Jeder von uns stand vor größeren Problemen in seinem Leben. Sei es ein guter Schulabschluss, Studium, die Suche nach dem Richtigen Partner, eine lange Reise unternehmen, jemanden aus einer Notsituation retten. Jeder von uns hat Dinge in seinem Leben gemacht, in denen er gefordert war, innerhalb kurzer Zeit wichtige Entscheidungen zu treffen. Und die meißten davon waren richtig. Nicht alle, aber die meißten. Wir handeln nach unseren Prinzipien, Träumen und
Wünschen und werden mit Problemen die uns bevordtehen, immer fertig. Der eine mehr, der andere weniger, aber JEDER hat die Chance, sein Leben zu gestalten
wie er es für richtig hält. Nun aus all diesen Resümees, die jeder von uns ziehen sollte, erkennt man einen Haufen Probleme, mit denen man im Laufe seines
Lebens fertig geworden ist. Denn oftmals sind Angstpatienten erfolgreiche, leistungsorientierte Menschen, die einfach zur Zeit der ersten Panikattacken etwas
überfordert sind. Wir haben seit Jahren Angst vor Weiten Reisen, Krankheiten, Angst vor der Angst, aber trotzdem leben wir, gehen arbeiten, stehen morgens auf, bringen die Kinder zur Schule. Wir können sehr wohl mit einer PA umgehen, ebenso könnten wir damit umgehen, in der Schlange ohnmächtig zu werden etc..
Und zu guter Letzt:
Der Tod gehört zum Leben dazu. Ja vielleicht sterben wir morgen. Vielleicht geht morgen die Welt unter. Aber was können wir dagegen tun? Gar nichts, wir müssen vertrauen und das Leben genießen, denn es kann morgen schon zu Ende sein. Vertrödelt nicht eure Zeit mit Was wäre wenn. Wenn es passiert, werdet ihr damit fertig, was auch immer kommt. Und wenn der Tod eintreten sollte, ist es doch sowieso egal. Das Leben ist zu kurz und vor allem viiiel zu schön, um sich
mit Negativen Gedanken zu beschäftigen. Akzeptiert. Vertraut. Lebt.
02.01.2009 00:22 • • 05.02.2018 x 9 #1