@Eisbär
Ich glaube nicht an genetische Veranlagung oder Veerbung von Ängsten - wohl aber an eine depressiogene Erziehung. Und Erziehung wird von Generation zu Generation weitergegeben. Wenn eine depressive oder ängstliche Mutter ein Kind erzieht, wird sie es anders erziehen, als eine lebensfrohe, zuversichtliche Mutter, die mit vollem Vertrauen im Leben steht. Mein Therapeut meinte mal, dass es Schätzungen gibt, dass 80% der Ängste, die wir fühlen, gar nicht unsere Ängste sind, sondern die der uns umgebenden Personen. Mit der Diagnose Dann ist das wohl genetisch machen es sich die Ärzte und Therapeuten dann sehr leicht und einfach.
Aber selbst wenn wir eine entsprechende Erziehung mitbekommen haben, heißt das noch nicht, dass man dann auch eine Angststörung bekommt. Dafür braucht es dann nochmal eigene Druckpunkte, die dann irgendwann das Faß zum Überlaufen bringen. Jede Angst, die wir entwickeln, hat einen Grund und eine Funktion. Du schreibst, Dein Leben ist gut. Ich glaube Dir, dass Du das glaubst - aber wäre es das, hättest Du keine Ängste. Es braucht oft viel Zeit, Willenskraft und Beharrlichkeit bis wir bereit sind, wirklich hinzuschauen, was uns belastet. Das war bei mir auch so.
Im ersten Jahr meiner Therapie war meine Ehe gut und meine Kindheit liebevoll und schön. Alles schick. Keine Ahnung warum der Körper so rumzickt und ich die absurde Angst habe, nicht aufs Klo zu können, obwohl ich quasi direkt daneben hocke. Keine Ahnung, warum ich ständig Durchfallattacken habe. Keine Ahnung, warum ich nur noch Energie für die lebensnotwendigsten Dinge habe.
Erst nach einem Jahr habe ich begriffen, dass mein liebevoller Vater wohl doch nicht so liebevoll war, wenn er mich für die geringsten Vergehen mit Liebesentzug strafte, wenn er eine Woche lang nicht mit mir redete, wenn ich als die Kleinste nie ernstgenommen wurde und nie meine Meinung sagen durfte, wenn er mir später verbot auszugehen und jeden Jungen als eine Ausgeburt des Bösen hinstellte, der nur darauf aus war, mich zu schwängern. So etwas durfte man nicht denken, schließlich pinkelt man seinen Eltern nicht ans Bein. Es sind die Eltern, die hat man lieb zu haben.
Dann hat es ein weiteres halbes Jahr gedauert, bis ich zugeben konnte, dass meine harmonische Ehe nur so harmonisch war, weil ich alles, aber auch alles, und sei es nur die leiseste Kritik oder Abgrenzung, hinunterschluckte, weil mein komplett kritikunfähiger Mann es in den falschen Hals bekommen, sauer sein und dann nicht mehr mit mir reden könnte (Trigger aus der Kindheit, Glaubenssatz Streit führt zu Trennung). Ich merkte irgendwann, dass ich mir jeglichen Ärger und jegliche Wut verbot. Der Druck in mir stiieg ins unermeßliche - und ging den Weg des geringsten Widerstandes - als Durchfallattacken. Weil ich der verbalen Übergriffigkeit meines Mannes nichts entgegenzusetzen hatte, zog ich mich in die Sprachlosigkeit und Empfindungslosigkeit zurück. Wenn wir nicht sprechen, muss ich mich auch nicht schützen. Wenn wir nicht sprechen, wird kein Druck erzeugt, der irgendwo wieder raus muss.
Erst als ich diese Erkenntnisse zugelassen habe, konnte die Angst langsam gehen. Ja, ich habe ein gutes Leben. Ich habe keine finanziellen Sorgen, ein Haus, einen tollen Sohn, wir können uns alles leisten was wir wollen. Aber das ist alles nur im Außen. Das reicht halt nicht. Es muss der Seele gut gehen. Sie muss sich wohlfühlen, und wir müssen freundlich und wohlwollend mit ihr umgehen.
Solche verborgenen Druckpunkte zu finden ist schwer. Das schafft man nicht in einem halben Jahr Verhaltenstherapie. Und auch in einer tiefenpsychologischen Therapie, in der der Therapeut den Patienten nur reden lässt, ohne ihm Dinge zurückzuspiegeln, werde ich sie nicht finden. In fünf Wochen Klinikaufenthalt oder einer Tagesklinik schon mal gar nicht. Und auch Medikamente werden mir dabei nicht helfen.
Es braucht dafür viel Durchhaltevermögen, einen guten Draht und Vertrauen zu einem empathischen Therapeuten und den absoluten Willen, sein Leben umzukrempeln. Vielleicht schaust Du mal in einer ruhigen Stunde für Dich, ob Du nicht doch Anhaltspunkte in diese Richtung findest. Vielleicht liest Du auch mal das Buch Das Kind in Dir muss Heimat finden von Stefanie Stahl. Da finden sich gute Ansätze, um seinen destruktiven Glaubenssätzen auf die Spur zu kommen.
12.01.2024 16:30 •
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