Ich finde Dein Thema hier SEHR interessant und hoffe, viele andere hier im Forum können etwas damit anfangen, denn wie schon gesagt, ist für mich die eigene Familie oft der Grund für spätere Probleme (wie auch immer geartet).
Darum finde ich es umso interessanter, dass jemand wie Du, es offenbar geschafft hat, sich von der eigenen Familie loszusagen und das auch schafft.
Zitat von sumi:Naja, bei mir fingen die Ängste und später PAs im Jugendalter an... also SEHR früh und weit vor dem 35.ten Lebensjahr... leider.
Wenn man an Sozialphobiker denkt, die ihr Problem größtenteils seit Beginn der frühen Pubertät mit sich rumschleppen, kann man sicher keine feste Regel aufstellen. Nur ist man grob in dem Alter im Leben an einem Punkt angekommen, der eine Neubewertung des bisherigen Lebenslaufs zulässt und genau da kommen viele Betroffene eines psychischen Problems ins Grüblen und landen in Depris, Ängsten oder sonstwo...
Zitat von sumi:Du schreibst ich soll die Gefühle der Familie nicht übernehmen. Das ist so schwer, man kommt sich so egoistisch vor.. .
Genau!
Der Satz: Du stehst für die anderen Familienmitglieder, oder auch überhaupt für andere Menschen, NICHT mehr zur Verfügung, trifft es noch besser!
Und mache Dir einmal bewusst, dass genau das schwere daran, das eigentliche Problem ausmacht.
D.h., Du machst alles richtig
Und es ist ja völlig klar, dass eine eigene Reaktion, die man ja jahrelang oder sogar jahrzehntelang kannte, nicht so einfach abgelegt werden kann. Die Reaktion auf die Forderung Deines Vaters z.B., seine Probleme doch endlich anzunehmen, zu übernehmen, zuzuhören usw.
Zitat von sumi: Aber ich denke mir halt: Wie soll ich denn dieser kranken Familie denn noch helfen? WIE ? Soll ich etwa mitjammern und mitleiden? Und dann? Was soll mir das bringen? Was soll das der FAMILIE bringen?
Du hast 100% Recht!
Und den Nagel auf dem Kopf getroffen, denn helfen in dem Sinne, kannst Du gar nicht.
So ein Familienbund hat eine UNGLAUBLICHE Kraft. In allen Familien, in denen etwas schief gelaufen ist, wird gerne der Deckmantel des Schweigens darüber gehalten und man glaubt nicht, wie stark dieser sein kann.
Mein eigene Thema ist eine Suchtproblematik eines Elternteils und Du glaubst gar nicht, wie sehr dieses Thema verschwiegen wird. Sogar bis über den Tod hinaus!
Als Betroffener hat man nur die Chance, es zu erkennen (womit man schon 50% des Weges gelaufen ist) und sich dann zu befreien von den alten Fesseln.
Denn es geht um das eigene Leben.
Zitat von sumi:Mein Vater ist SEHR beleidigt und enttäuscht von ALLEN Verwandten, die sich wie ich jetzt mehr um sich selbst kümmern und NICHT mit ihm mitleiden... .
Machen wir uns einmal klar, dass er als Vater, also als Erzieher der Kinder, einen schweren Fehler macht, wenn er seine Probleme auf die Kinder reflektiert und sie sogar überträgt.
Und heute weiss man, dass das ungewollt passiert. D.h., selbst wenn die Eltern das eigene Probleme gar nicht den Kinder auferlegen wollen, tun sie es trotzdem, unbewusst und das Kind nimmt den Mist mit. Darum ist es ganz wichtig, dass Betroffene mit Kindern eine entsprechende Therapie machen und der Ursache auf den Grund gehen, denn Angst oder auch Depressionen sind für mich KEINE Ursache! Es sind nur Symptome eines anderen, tieferen, ggf. aus der Kindheit stammenden Problems!
Und natürlich ist Dein Vater selber gefangen und hat wahrscheinlich ebenso Probleme aus der Kindheit, die ihn heute einholen bzw. schon lange einholen, er aber keinen Weg findet.
Darum ist meine Auffassung auch, dass Therapeuten nur Begleiter sein können. Helfer auf dem Weg, den man alleine gehen muss. Denn die Einsicht muss beim Betroffenen selber aufkommen, nicht beim Therapeuten.
Zitat von sumi:Aber ich kann nicht mehr. Ich kann da nicht mehr über meine Grenzen gehen, wie du schreibst. Das habe ich die früheren Jahre gemacht.
Sumi, mache Dir mal ganz bewusst, dass das eine unglaubliche Qualität hat!
Das ist SUPER, wenn Du das so fühlen kannst und Dich endlich (!) nach Deinen eigenen Gefühlen richtest, die Dir sagen: Geh in raus und lebe Dein EIGENES Leben!
Ich finde, man kann das gar nicht hoch genug bewerten.
Zitat von sumi:Die Familie tut so als wäre es nicht belastend gewesen dort zu wohnen...Hallo?!
Natürlich tut sie das!
Eine völlig normale Reaktion!
Das ist ein so typisches Verhalten gegenüber den Kindern...
Zitat von sumi:Auch ist interessant, wo du schreibt, man soll das Gefühl nicht annehmen, was der Gegenüber einem übergeben möchte. Das habe ich in der Tehrapie auch gehört. Das klang für mich schon da sehr diffus. Also so kompliziert.
Ich kann Dir nur sagen, dass das einer der Kernsätze ist, einer Therapie, die Du machst. Es trifft für so viele psychische Probleme zu, die man selber hat und die einem gar nicht gehören.
Sich selber schuldig zu fühlen für das, was z.B. die Eltern haben, DAS ist genau das Problem, warum die Kinder u.a. ins Trudeln kommen. Den Eltern ist überhaupt nicht ansatzweise bewusst, WAS sie den Kindern damit antun! Die kindliche Psyche funktioniert nämlich ein wenig anders, als die eines reifen Erwachsenen und das Kind kann u.U. richtige lebensbedrohliche Ängste entwickeln, weil es sieht, dass die Eltern ihr Leben nicht auf die Reihe bekommen. Aus Solidarität stellt es sich auf die Seite der Eltern bzw. des Elternteils und übernimmt damit das Problem, die Schuld etc.
Wahnsinn, denn die Psyche des Kindes kann sich so überhaupt nicht entwickeln.
Zitat von sumi:Also die Theorie ging so: Wenn z.b. dir jemand versucht, Schuldgefühle einzureden, dann hast DU die Wahl, ob du dich schuldig fühlst oder nicht. Aha. Das kam ganz groß zur Aussprache. Und allgemein auch bei anderen negativen Gefühle, die Andere Einem einflößen wollen. Nun ja, die Theorie, also das Gelernte in die Praxid umzusetzen ist viel schwieriger.
Ganz genau Sumi!
Und es ist BEI JEDEM GEFÜHL so!
Man muss sich fragen, ob das wirklich das eigene Gefühl ist!
D A S ist genau der Kern und so gerne würde ich jedem Sozialphobiker hier im Forum diesen Thread zeigen, damit er versteht, was genau falsch läuft, wenn er vor einem anderen Menschen steht und Ängste hochkommen.
Zu Deiner Therapie kann ich Dir nur raten, dass Du keine großen Ansprüche gegenüber Dir selber aufbauen solltest. Gib Dir Zeit! Aber alleine das WISSEN darum ist Gold wert! Denn so verstehtst Du endlich, warum Du in verschiedenen Lebenssituation so gehandelt hast, wie Du gehandelt hast. Und genau DAS jetzt ggf. nicht mehr brauchst.
Das Problem dabei ist, dass Du ein Trauma haben wirst. Trauma heisst, es konnten sich gewisse Dinge bei Dir im Nervensystem nicht so ausbilden, wie es normal gewesen wäre. Genau diese Blockaden gilt es aufzulösen und dann kommt so einiges in den Fluss, ganz automatisch und plötzlich KANNST Du dich abgrenzen von anderen Menschen bzw. auch von Deiner Familie und das sogar so, dass es für Dich völlig normal ist. D.h., Du bemerkst es irgendwann gar nicht mehr, sondern handelst so, wie es jetzt noch für Dich schwierig ist.
Zitat von sumi:Gestern bei dem Anruf da konnte ich mich gar nicht abgrenzen und als die ganzen Schuldzuweisungen und Vorwürfe kamen, da wars komplett bei mir vorbei.Ich fühlte mich SCHULDIG, schlecht, EGOISTISCH und habe angefangen zu weinen und konnte mich nicht mehr beruhigen. Und irgendwann dachte ich mir auch so, dass das alles doch voll schwachsinnig ist. Aber da wars schon zu spät.... .
Sehe solche Momente echt als Lehre an. Du bist praktisch in der Ausbildung jetzt. Nutze solche Situation um sie Dir ggf. mit dem Therapeuten einmal genau anzusehen und z.B. den Moment herauszufinden, wo Du merkst, jetzt rutsche ich ab. Genau dort musst Du lernen die Grenze zu ziehen.
Denn Du bist NICHT für das Wohl Deines Vaters verantwortlich!
Du bist für das Wohl KEINES Menschen auf der ganzen Welt verantwortlich.
Nur für EINEN Menschen, nämlich für DEIN Wohl!
Und genau das würdest Du z.B. tun, wenn Du dich entziehen würdest und wenn Du merkst, es geht über eine gewisse Grenze hinaus, die Dein Vater gerade überschreitet, lege auf am Telefon!
Ich weiss, das ist sehr schwer, weil Du dich ihm verpflichtet fühlst, aber damit machst Du ihm GANZ KLAR, dass er Dich nicht mehr in seinen Fängen hat. Denn genau das WILL ER und SCHAFFT ER aktuell noch. Er will sein Leid teilen, er will bemitleidet werden und das Schlimme ist, ALLE machen mit.
Zitat von sumi:Also das mit dem Gefühle der Anderen nicht Übernehmen ist echt schwer.... .
Es ist nur schwer, weil es neu ist. Und deshalb, weil Du deiner Familie natürlich Nahe stehst. Gegenüber einer fremden Person wäre es ggf. leichter.
Die Bäckereiverkäuferin, die Dich z.B. anschnauzt, die kann man einfach stehen lassen in ihrem Frust und eine deutliche Grenze ziehen. Denn IHR Gefühl, brauchst/sollst/musst DU NICHT übernehmen. Denn warum sollst Du auch Frust und Ärger haben, nur weil sie von ihrem Chef zuvor angemacht wurde? Das ist ein einfaches, aber exemplarisches Beispiel für das, worum es geht.
Wie o.g. rate ich Dir, dass das Zeit braucht, aber Gold für Dein Leben wert ist!
Nur so kannst Du dich wirklich befreien von den Menschen, die zwar Deine Erzeuger sind, aber keine Verantwortung übernehmen mehr für Dich. Warum? Weil Du erwachsen bist! Weil Du dein eigenes Leben leben willst! Weil Du irgendwann eine eigene Familie, mit eigenen Kindern haben möchtest, den Du diesen MIST nicht mitgeben möchtest.
Von daher ist das wirklich ein toller Schritt, den Du da gehst!
Viele kommen NIE dorthin!
Zitat von sumi:Und wie meinst du das, dass in der Selbsthilfegruppe Menschen dabei sind, die weit weg von zu Hause weg müssen? Meinst du, das ist gut für sie oder meinst du, es gibt auch bessere Wege mit den Eltern umzugehen als weit weg zu ziehen?
Wie oben angedeutet, war/ist mein eigener Weg ähnlich. Ich habe mich daher relativ intensiv mit dem ganzen Thema über Jahre hinweg auseinandergesetzt. Und heute, mit dem vielen Wissen was ich darüber für mich angehäuft habe, macht es mir richtig Spaß, Leute auf ihrem Weg zu beobachten, weil ich viele Schritte schon kenne, die diese Leute gerade gehen.
Und wenn da ein junger Mensch ist, der ganz weit weg von zu Hause studiert oder lebt und mir dann noch berichtet, dass im Elternhaus etwas nicht stimmte (Gründe sind egal), dann ist das für mich ein Zeichen dafür, dass er so weit weggehen musste, um aus den Fängen der Familie zu sein. Er musste regelrecht fliehen. Aber das Schöne ist, ER hatte die Kraft dazu, er hat es getan. Unbewusst! Mir ist das aber klar und je näher ich diesen Menschen dann kennenlerne, desto mehr werde ich in meiner Annahme bestätigt, dass der Umstand wirklich so wahr.
Und ganz klar, es ist GUT! ALLES IST GUT, was man selber macht. Immer und zu jedem Zeitpunkt! Warum? Man kann in der Situation oder Lebenslage nicht anders. Und jeder Mensch gibt IMMER DAS Beste in der Situation. Selbst die Mutter, die ihr Kind verkloppt gibt das Beste, was sie in dem Moment geben konnte! Man muss ggf. einen Moment darüber nachdenken, aber erkennt relativ schnell die Wahrheit an der Aussage. Von daher gibt es auch nichts, was man sich selber verzeihen muss.
Wichtig ist aber der Mut!
Ohne Mut trifft man KEINE ENtscheidungen. Genauso wie Du! Du triffst Entscheidungen. Darum ist alles GUT! Selbst wenn eine Fehlentscheidung getroffen wird, Fakt ist, es WIRD eine Entscheidung und damit eine Veränderung getroffen.