Die Angst, mein ständiger Begleiter...
Hallo an Alle!
Ihr begleitet mich nun schon eine ganze Weile; habe mich in meinen dunkelsten Stunden schon oft als Gast in diesem Forum herumgetrieben, auf der Suche nach der Bestätigung, dass ich nicht völlig bekloppt und alleine mit meinen oft völlig irrationalen Empfindungen und Ängsten bin. Und alleine die Tatsache, dass ich nicht die Einzige bin, der es so ergeht, hat mir die schlimmer werdenden Angstattacken um einiges erträglicher gemacht. Also erstmal ein dickes DANKE dafür an alle, die vor mir den Mut hatten, hier öffentlich ihr Innerstes nach außen zu kehren... .
Aber nun zu mir:
Ich bin 32 Jahre alt, in einer sehr glücklichen Beziehung und habe einen sicheren Job, der mir Spaß macht, aber leider nicht immer einfach ist und mir öfter mal Stress, Frustration und Sorgen bereitet (aber welcher Job tut das nicht...).
Ich lebe in einer WG, bin also selten alleine, aber das Miteinander ist jetzt nicht besonders eng; trotzdem fühle ich mich oft sicherer, als in einer eigenen Wohnung.
Meine erste Panikattacke hatte ich einen Tag nach meinem 30. Geburtstag. Ich habe am Abend vorher ein großes Fest bei mir daheim gefeiert und hatte dementsprechend einen Riesen-Kater. Aus dem Nichts heraus bekam ich plötzlich ein extrem mulmiges Gefühl, so als ob etwas ganz krass nicht stimmt mit meinem Körper. Dann hab ich bemerkt, dass mein Herz rast und ich bekam keine Luft mehr. Zum Glück war mein damaliger Freund noch bei mir, der meinte erstmal, ich solle eine Runde an die frische Luft. Als auch ein kleiner Spaziergang nicht half fuhr er mich schließlich in die Notaufnahme. Dort haben sie mich erstmal mit Verdacht auf Infarkt bzw. Embolie durchgecheckt, allerdings waren meine Blutwerte - bis auf einen niedrigen Kaliumspiegel wegen dem Kater - einwandfrei. Auch sonst konnte man nichts Ungewöhnliches feststellen. Die Ärzte tippten angesichts meiner stressigen Tage vorher auf ein sogenanntes Holiday Heart Syndrome; das ist nichts weiter Schlimmes, halt nur stressbedingtes Herzrasen, das aber von alleine wieder abklingt. Damit konnte ich leben (im wahrsten Wortsinn ).
Trotzdem werde ich diesen Abend auf der Liege in der Notaufnahme niemals wieder vergessen können. Alleine dieses Gefühl, das Herz schlägt so schnell, als ob es einem gleich den Brustkorb sprengt, das Gefühl, man fällt jetzt sofort in Ohnmacht und dann bleibt das Herz stehen, weil das ja kein normaler Mensch aushalten kann, das hat sich so in mein Gedächtnis eingebrannt, dass ich noch Tage danach ganz ängstlich in mich reingehorcht habe, ob mein Herz noch schlägt, wie schnell es schlägt, ob es regelmäßig schlägt usw. Dazu kam eine ganz diffuse Angst ganz allgemein vor Schicksalsschlägen; was wäre wenn - Gedanken, ich hab plötzlich überall Horrorszenarien gesehen, Autounfälle, sterbende Freunde, mich tot umfallen etc. Es war schlichtweg gruselig.
Dazu hatte ich immernoch einen seltsamen Druck auf der Brust, der dazu führte, dass ich am nächsten Tag nochmals im Krankenhaus vorstellig wurde. Dort hat man ein Echokardiogramm gemacht und meine Lunge geröntgt, nur, um festzustellen, dass auch organisch alles prima war. Der zuständige Notarzt meinte nur, ich hätte wohl eine Bronchitis gehabt und der Druck auf der Brust könnte auch von Verspannungen im Rücken kommen. Da ich sowieso Rückenprobleme hatte (ich leide an einer leichten Skoliose, oder einem Skoliöschen, wie mein Orthopäde mal lachend meinte), fand ich diese Erklärung sowohl plausibel, als auch äußerst beruhigend.
Nach dieser Doppelerfahrung in der Notaufnahme ging es mir nach ein paar Tagen wieder gut und ich hatte meine Ruhe. Dachte ich.
Sechs Wochen später saß ich nachmittags gemütlich auf der Couch, als ein seltsam bekanntes Gefühl in mir hochkroch. Sofort setzte der - mir mittlerweile sehr bekannt - Fluchtreflex ein; ich rannte ans Fenster, riss es auf und schnappte erstmal nach Luft. Herzrasen, Schwindel, Unsicherheitsgefühle und Atemnot, die ganze Palette suchte mich heim. Als das nicht besser wurde rief ich wieder meinen damaligen Freund zu Hilfe und ließ mich ein weiteres Mal in die Notaufnahme fahren. Dort begann wieder die Suche nach der Ursache - und eine Stunde später stand ich wieder ohne Befund auf der Straße. Toll. Ich war etwas weniger beruhigt, als beim ersten Mal, fing an, mir Gedanken zu machen, ob ich vielleicht eine andere, schwerer zu entdeckende Krankheit haben könnte, und fing an, Dr. Google zu befragen. Keine gute Idee. Mit zunehmender Suche wurde ich auch zunehmend kränker... was zwei Wochen später in einer erneuten Panikattacke mündete. Damals war ich allerdings schon so weit in Betracht zu ziehen, dass es vielleicht auch was psychisches sein könnte, da ich schon Jahre vorher einmal wegen einer depressiven Phase bzw. Anpassungstörung in Behandlung war. Um mir nicht erneut die Blöße in der Notaufnahme zu geben ließ ich mich also beim dritten Mal gleich in die ortsansässige Psychoklinik fahren und konnte dort nach schier unendlicher Wartezeit (grauenvoll!!!) mit einem Psychologen sprechen, der mich in meiner Annahme bestätigt hat. Allerdings hat er mich gebeten, mich trotz aller Vermutungen mal von einem Kardiologen untersuchen zu lassen. Das hab ich auch gemacht. Langzeit-EKG, Belastungs-EKG, alles ohne Befund. Er meinte nur, mein Puls sei etwas schnell, aber mit ein wenig Sport würde das besser werden. Und wenn nicht, könne er mir auch gerne Betablocker verschreiben. Aber das hab ich abgelehnt.
Was daraufhin folgte waren Wochen der Unruhe und Angst, allerdings hatte ich erstmal keine Panikattacken mehr. Als es mir immer schlechter ging, ließ ich mich zu einem Psychiater überweisen, der meine nun diagnostizierte Panikstörung erstmal mit Hilfe von Antidepressiva in den Griff bekommen wollte und mir eine Verhaltenstherapie empfahl. Also machte ich mich auf die langwierige Suche nach einem geeigneten Therapeuten.
Ich muss Euch nicht erzählen, was das für eine frustrierende Zeit war. Ich habe es schließlich geschafft, einen ersten Termin bei einer Frau zu bekommen, die, nachdem ich ihr 50 min lang meine Situation geschildet hatte, schlicht meinte, sie hätte nicht den Eindruck, dass ich für eine Therapie wirklich offen wäre. WIE BITTE?!? Ich weiß nicht, wie es Euch ergangen ist, aber alleine sich zu den unzähligen Telefonaten und anschließenden Schilderungen zu überwinden, kostet schon ungemein viel Kraft, und dann erdreistet sich eine geschulte Person zu behaupten, man wäre nicht reif für Hilfe??!? Ich war geschockt. Und enttäuscht. Und völlig desillusioniert. Aber man gibt ja nicht so schnell auf. Also hab ich weitertelefoniert, bis ich bei einem Psychoanalytiker gelandet bin. Der wollte auch gerne mit mir arbeiten, allerdings drei Mal die Woche, und ich sollte dieser Therapie mein ganzes restliches Leben unterordnen. Da hab ich Angst bekommen und mir eingeredet, dass ich auch den Therapeuten ein wenig seltsam fand, und bin nicht mehr hingegangen.
Ich weiß, dass das die falsche Entscheidung war, und dass in mir wohl wirklich viel unterdrückter schei. hervorgeholt werden muss (bei mir war die schwierige Kindheit inklusive, beide Eltern tot, rumgeschubst zwischen Verwandten, Heimaufenthalt, Adoption, schwieriges Verhältnis zu den Adoptiveltern, ...), aber ich war immer schon ein Meister im Verdrängen und bin damit bislang gut alleine klargekommen.
Ich hab also weiter brav meine 20 mg Citalopram geschluckt und es ging mir zunehmend besser. Selbst, als sich mein damaliger Freund von mir getrennt hat, ging es mir damit erstaunlich gut. Als ich nicht lange darauf meinen jetzigen Freund traf, war das ein sehr großes Glück (das ist es immer noch), und als es mir allgemein immer besser ging, habe ich beschlossen, nach eineinhalb Jahren die Medikamente wieder auszuschleichen, da ich ja wusste, dass meine körperlichen Aussetzer psychischer Natur waren. Ich dachte, ich komm schon auch ohne klar und hoffte, stark genug zu sein, die Angstzustände auszuhalten, falls sie denn wiederkämen.
Und das sind sie. Schleichend zwar, aber sie haben sich über das letzte Jahr ohne die Medis langsam, aber stetig gesteigert. Und jetzt bin ich an einem Punkt, an dem ich mir eingestanden habe, dass ich das doch nicht ohne Hilfe schaffen kann. Allerdings bin ich mir darüber im Klaren, dass sich eine erneute Therapeutensuche als langwierig und schwierig gestalten wird, und deshalb bin ich jetzt hier. Damit ich die Zeit bis ich Hilfe finde besser überstehe. Oder nicht wieder aufgebe.
Viele von Euch hier haben so hammerharte Geschichten hinter sich, da schäme ich mich fast ein bisschen, denn im Vergleich dazu geht es mir einigermaßen gut. Ich kann meiner Arbeit nachgehen (Ablenkung ist immer noch die beste Medizin) und mein Freund kennt die harten Fakten und ist ein sehr liebe - und verständnisvoller Unterstützer. Trotzdem begleitet mich meine Angst mittlerweile täglich. Meine Symptome tanzen einen lustigen Ringelreigen, so nach dem Motto gestern warst du dran, heute komm ich. Sobald ich mich beruhigt habe, dass ich nicht gleich ersticken werde, flüstert der kleine Mann im Ohr, dass sich aber doch eventuell die Erkältung, die ich seit 4 Wochen kaum merklich mit mir herumschleppe (wirklich krank werd ich nie - bin eigentlich ein sehr gesunder Mensch, haha) auf mein Herz niedergeschlagen haben könnte.
Heute sitze ich nun also an meinem Schreibtisch, um mich das erste Mal in Gänze mit meinem Problem auseinanderzusetzen. Daher ist dieser Text auch so lang. Sorry dafür, aber in der Form habe ich mir meine Geschichte selbst noch nie bewusst gemacht. Und tatsächlich geht es mir schon etwas besser. Der Druck auf meiner Brust hat nachgelassen, und ich glaube die nächste Treppe werde ich ohne drohenden Herzkasper schaffen.
Toitoitoi.