Liebe Oktewia,
mir geht es da sehr ähnlich wie dir. Ich habe dir mal eine längere Antwort geschrieben, vielleicht merkst du, dass du nicht alleine bist und auch jeder unterschiedliche Ängste vor der Realität hat, obwohl sie sich doch alle irgendwo im Kern gleichen.
In mir gab es schon früh den Hang die Realität greifen zu wollen. Das liegt wohl daran, dass ich schon immer eine sensible, prüfende und ängstliche Natur bin. Als Kind war es das Hinterfragen von Gott im Himmel, Anfang 20 die Evolution, später Mitte 20 beim Konsumieren das Hinterfragen der Physik, dazu Filme wie Matrix und co.. Das war für mich anfangs einfach sehr spannend und faszinierend. Es hatte mir zwar ein bisschen Angst gemacht, aber ich habe mich sicher gefühlt. Das hat sich geändert, als ich irgendwann beim konsumieren den ein oder anderen Bad-Trip erlebt hatte. Ich habe nun einmal die Gabe mich gut in Dinge und Sichtweisen hereinzudenken und mich leider auch etwas hineinzusteigern. Ich hatte in der Zeit oft Derelisationen und mir kam alles oft unwirklich vor. Die Menschen und die Welt - sie hielt mich nicht fest - sie war wie ein Boden, der einen nicht trägt - weil alle so unbedacht Marionetten-Theater spielten, es schien als gab mir niemand Antworten auf solch existentielle Fragen. Da ich merkte, das das ich wieder ins Leben kommen wollte, ließ ich das Konsumieren sein und hatte stark daran zu tun, wieder sicherer im Leben zu werden und meine soziale Angst zu besiegen. Nachdem ich dann ein Jahr später unter unbedachten Umständen ein letztes Mal minimal wenig konsumierte und zum ersten Mal eine schlimme Panikattacke mit starkem Herzrasen und Todesangst erlebte, ließ ich es ganz sein. Soweit so gut, ich kenne Angst schon aus meiner Kindheit und bemühte mich kein Vermeidungsverhalten zu zeigen, den starken Ich-Anteil herauszuholen und einfach normal weiterzuleben. Ich dachte wenn ich nie wieder konsumiere, passiert das einfach nicht mehr. Bis vor ein paar Monaten aus heiterem Himmel eine weitere schlimmere Panikattacke ausbrach. Ich war total in der Angst. Die Tage danach war nichts mehr wie vorher. Das Gefühl das ich damals oft hatte, das alles wie ein Marionetten-Theater ist kam zurück. Ich hatte Angst durchzudrehen. Dazu konnte ich weder alleine sein und hatte ständig Schüttelfrost, mein Freund war mit mir am Dauerskypen, ich fühlte mich wie auf einem Bad-Trip bloß das ich nicht wusste woher er kam und wann er aufhört. Ein Arzt sagte zu mir, ich sei gerade sehr sehr sehr dünnhäutig und durchlässig und so fühlte ich mich auch. Ein solches Gefühl kannte ich vorher nicht. Ich nehme seitdem 10mg Escitalopram und versuche gerade das erlebte zu verarbeiten. Es hat eventuell auch mit einer Schilddrüsenunterfunktion zu tun, was bald abgeklärt wird, außerdem gibt es eine zyklusabhängige Komponente wohl (zweite Zyklushälfte - wenig Östrogen - wenig Serotonin - bei Schilddrüsenunterfunktion gibt es wohl zusätzlich mit den Schilddrüsenhormonen eine Konkurrenz um ein chem. Produkt was mit Serotonin zusammenhängt) und es waren andere wichtige Lebensentscheidungen, wie ein Auslandsaufenthalt, die mein Unterbewusstsein wohl so letzendlich entschieden hat. Meine Familie half mir sehr und so konnte ich relativ bald wieder in mein Leben zurück. Was geblieben ist, ist die Angst vor der Angst, einerseits die einer Panikattacke und die schlimmere, das was du mit Realitätsangst beschreibst, z.B. das ich ständig merke, dass niemand weiß warum wir eigentlich hier sind auf so einem Planeten mitten im Universum und was wir eigentlich tun, ob es ein Ich gibt oder wie nur Maschinen sind die uns ein Ich vorspielen und ja all solch Spinnereien. Nun ja, meine neue Therapeutin meinte, ich würde mich mit den wohl grundsätzlichsten Fragen auseinandersetzen und viele viele Menschen tun so etwas gar nicht. Sie meinte, selbst wenn ich nicht weiß, warum ich (wie man das auch immer nennen will) verkörpert bin, soll ich versuchen mich zu erden und durch Sport ect. wieder mehr zur Natur zurück kommen. Es hilft tatsächlich, aber nicht ganz. Mir ist auch ein neuer Ansatz eingefallen damit umzugehen. Immerhin schaffen das andere Menschen auch und wir stecken ja alle im gleichen Boot.
Der Ansatz ist folgender:
Wenn man tanzt, dann kann man sich, wenn man sich voll fallenlässt und man erlebt die Musik und den Moment wie man sich dazu bewegt, etwas erleben, was einfach nur schön ist. So ein tun. Und das tun, ist einfach irgendwie schön. Wenn man aber nun nachdenkt, die Schritte zählt, kann man es dann erleben, worum es beim Tanz eigentlich geht? Naja und so dachte ich mir, wenn ich lebe, warum auch immer, wenn ich es einfach tue, wie tanzen, dann erlebe ich es, vielleicht ist das der Sinn, wenn ich nun versuche alles mit dem Verstand zu begreifen und zu prüfen, dann verfehle ich eventuell mein Ziel. Nur eines fehlt dazu - Vertrauen. Und das habe ich zurzeit noch nicht.
Seh es mal als ein Geschenk, über was wir hier sprechen und uns Gedanken machen ist doch etwas sehr grundsätzliches. Es verbindet uns. Jeder Mensch hat im Kern die gleichen Fragen. Du bist sehr mutig, dass du überhaupt über solche Dinge nachdenkst. Zumindest haben mir das viele rückgemeldet. Und du musst auch lernen stolz auf dich zu sein, dass du bis dorthin mit deinem Verstand gehst. Das du wirklich verstehen willst, ergründen willst. Das ist eigentliche eine tolle Charaktereigenschaft. Und die Angst kommt wohl auch ein wenig daher, da in der Gesellschaft darüber wenig gesprochen wird. Wenn es ein Thema wäre wie jedes andere große, würdest du dich nicht alleine fühlen, und damit anders umgehen. Und du bist nicht alleine, glaub mir. Auch wenn es nicht in den großen Klatschzeitungen steht.
Entschuldige, dass der Text so lange geworden ist...
Hast du denn schon ein Ansatz gefunden, besser damit umzugehen?
09.03.2017 19:02 •
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