Ich finde dieses Thema sehr spannend. Und ich habe mir auch schon oft die Frage gestellt, welchen Gewinn ich durch die Angst habe. Es gibt ja diesen tollen Begriff sekundärer Krankheitsgewinn. Ich bin zu keinem Ergebnis gekommen. Wenn mich Therapeuten mal fragten, wie ich mein Leben gestalten würde, wenn ich keine Angst hätte, fiel mir eigentlich nichts Sinniges ein. Sicher, ich würde mehr unternehmen, mal verreisen ...., aber mein Leben konkret ändern? Keine Ahnung wie! Ich kenne eigentlich auch kein Leben ohne Angst, weil ich die schon soooo viele Jahre habe. Wie soll ich mir da eines vorstellen? Ganz selten bekomme ich aber mal einen kleinen Vorgeschmack, was wäre wenn. So wie am letzten Montag. Es war einer der wenigen Tage in meinem Leben, an dem ich anscheinend keine Angst hatte. Denn plötzlich war ich voller Energie und Lebenslust und voller Ideen und Freude über alles. Ich konnte mir plötzlich vorstellen alles mögliche zu tun, was ich vorher absurd gefunden hätte. Das war dann am nächsten Tag vorbei und nahm dann seinen Lauf und es ging mir immer schlechter. Ich zermatere mir meinen Kopf, um das zu analysieren. Mag ja sein, dass ich schnell ins alte Muster verfiel, weil mir das schier unheimlich war und ich das Vertraute vorziehe, wenn es auch das Leid ist. Ja, mag sein. Vollkommen unbekannt sind mir solche tollen Tage nicht, wenn sie auch eher die Ausnahme sind. Was mich jedoch erschreckte bei alledem, ist die Erkenntnis, dass ich scheinbar IMMER Angst habe, auch wenn ich sie als solche gar nicht wahrnehme. Versteht Ihr, was ich meine? Ich spüre nicht tagtäglich die pure Angst. Ich habe oft viele Symptome mit und ohne Angst. Mal ist die Angst ganz doll, mal gibt es Panik, mal ist die Angst klein oder - wie ich bisher dachte - gar nicht da. Aber dieser Montag hat mich eines Besseren belehrt. Ich hatte keinerlei Angst und mein Fühlen war von so ausschlaggebend anderer Qualität, dass ich mich vollkommen anders fühlte. Mir hat es bewiesen, dass ich dauerhaft Angst in mir habe, die ich selbst nicht unbedingt als solche empfinde.
Kann man überhaupt verstehen, was ich sagen will?
Ich wüsste aber beim besten Willen nicht, was mich an diesem angstfreien Zustand so (unbewußt) beängstigen sollte, dass ich ihn nicht mit allen Mitteln anstreben wollen würde. Weil ich eben angstfrei war, hatte ich keine Angst zu versagen oder meinen Ansprüchen nicht zu genügen oder ähnliches. Ich hätte Bäume ausreissen können und das hätte mir genügt. Ich finde eigentlich gut, was ich gebe und was ich in meinem Leben tue. Alles, was ich nicht schätze oder bedaure oder anklage, ist eben diese Angst, die mir alles so schwer macht, mich oft so leiden läßt. Und wenn die nicht da wäre, wurde ich lediglich mit viel mehr Leichtigkeit meinen Weg gehen und würde vielleicht nur denken, dass ich jetzt mehr zu bieten habe. Denn ich finde, dass ich durch die Angst nur wenig zu bieten habe.
Ich glaube aber auch - und ich hoffe, ich desillunsioniere jetzt niemanden - dass sich Angst chronifizieren kann. Ich glaube, dass jahrelange Angst sich so in die Persönlichkeit einbrennt, dass es unmöglich ist, dies zu ändern. Ich glaube, sie setzt sich in jeder Faser und Zelle unseres Körpers, unserer Seele oder Psyche fest, dass es nicht möglich ist, sie je wieder los zu werden. Vorausgesetzt man hat sie schon viele viele Jahre. Und somit muss sie nicht unbedingt einen Gewinn bedeuten, sondern ist schlichtweg nicht mehr reparabel. Vielleicht hatte sie mal ihren Sinn, aber irgendwann nicht mehr. Und ich glaube auch, dass man nur noch versuchen kann, so gut wie möglich damit klar zu kommen.
Ok, vielleicht spricht dieser Montag dagegen. Vielleicht aber auch nicht.
Bei den meisten Menschen hat Angst einen Zweck, aber irgendwann kommt ein Punkt, da sitzt sie fest wie eine Narbe und mehr nicht.
Trotzdem muss das nicht heißen, dass das Leben nicht auch so schön sein. Und daran gilt es zu arbeiten.
Angstfrei leben? Für mich unvorstellbar. Und eigentlich seit diesem Tag umso weniger vorstellbar. Kann man das überhaupt nachvollziehen?
06.09.2008 14:26 •
#16